MARKTMISSBRAUCHSVERORDNUNG (MMVO / MAR)

 


Kapitalerhöhung aus genehmigtem Kapital

Bei genehmigtem Kapital ist der Vorstand von der Hauptversammlung gemäß § 202 AktG ermächtigt im Laufe von maximal fünf Jahren das Grundkapital gegen Einlagen zu erhöhen. Durch diese Rahmenermächtigung ist der Vorstand in der Lage schnell und flexibel auf sich ändernde Gegebenheiten zu reagieren. Da die Hauptversammlung dadurch einen Großteil ihrer Entscheidungskompetenz delegiert, ist die Genehmigung auf maximal 50% des Grundkapitals beschränkt.

Bei der Bewertung der Ad-hoc-Publizität ist grundsätzlich zwischen der Schaffung des genehmigten Kapitals durch die Hauptversammlung und der Ausnutzung der Ermächtigung durch den Vorstand mit Genehmigung durch den Aufsichtsrat zu trennen. Beide Vorgänge wiederum stellen gestreckte Geschehensabläufe mit verschiedenen Zwischenschritten dar, an denen eine Veröffentlichungsverpflichtung festgemacht werden kann.

 

Schaffung des genehmigten Kapitals

In der Schaffung des genehmigten Kapitals durch die Hauptversammlung ist keine Insiderinformation zu sehen.

Die Genehmigung einer potentiellen Kapitalerhöhung hat selbst schon keine Auswirkung auf die Anlageentscheidung eines verständigen Anlegers. Da sich der Zeitraum der Ermächtigung auf bis zu fünf Jahre erstreckt und der Vorstand in seiner Entscheidung frei ist, ob, wann und in welcher Höhe er von ihr Gebrauch macht, lässt die bloße Schaffung des genehmigten Kapitals noch keine Rückschlüsse auf die Kursrelevanz der später eventuell folgenden Maßnahme zu. Darüber hinaus verfügen nahezu alle Aktiengesellschaften über genehmigtes Kapital. Wird diese Ermächtigung nach fünf Jahren aktualisiert, so kann diesem pro-forma-Vorgang kaum Kursrelevanz zugesprochen werden.

 

Nutzung der Ermächtigung zur Kapitalerhöhung

Durch den Gebrauch der Ermächtigung verändert sich tatsächlich die Finanzierungsstruktur der Gesellschaft, sodass Kursrelevanz und daraus folgend eine Publikationspflicht erwachsen kann. Abzulehnen wäre dies nur, wenn die Kapitalerhöhung nur einen marginalen Bruchteil des Grundkapitals erfasst, sodass es zu keiner merklichen Umschichtung des Finanzierungsverhältnisses kommt. Im Wesentlichen verläuft die Kapitalerhöhung aus genehmigten Kapital mit Benutzung der Ermächtigung in ähnlichen Bahnen wie die Kapitalerhöhung durch Einlagen.

 

Vorüberlegungen des Vorstands

Die ersten Überlegungen des Vorstands sind noch zu unpräzise um eine Insiderinformation darzustellen und damit eine Ad-hoc-Pflicht auszulösen.

Zieht der Vorstand eine Verwendung der Ermächtigung in Erwägung, so handelt es sich um eine bloße Vorbereitungshandlung. Es ist noch überhaupt nicht absehbar, ob und in welchem Maße neue Aktien ausgegeben werden, sodass es an der Kursrelevanz fehlt. Da es der Zweck des genehmigten Kapitals ist, der Verwaltung die Möglichkeit zu geben, schnell auf Änderungen auf dem Markt und innerhalb der Gesellschaft zu reagieren, findet bei der Aktivierung genehmigten Kapitals grundsätzlich kein Pilot-Fishing oder Pre-Marketing statt. Es kommt hier vielmehr auf die Einschätzungen des Vorstands an. Zudem finden die Erhöhungen aus genehmigten Kapital regelmäßig mit deutlich kleineren Volumina statt.

 

Beschlussfassung des Vorstands

Durch den Beschluss des Vorstands über Zeitpunkt und Höhe der Kapitalerhöhung entsteht eine Insiderinformation. Von der Veröffentlichung kann der Emittent durch eine Selbstbefreiung nur absehen, wenn die Zustimmung im Aufsichtsrat ungewiss ist.

Der Vorstand kann in eigener Verantwortung die Erhöhung des Grundkapitals anstoßen und dabei den Umfang der Kapitalerhöhung sowie den Ausgabebetrag der neuen Aktien festlegen. Durch diese konkrete Verwendung seiner Ermächtigung ist der Eintritt der Kapitalerhöhung überwiegend wahrscheinlich und es lassen sich Aussagen über die Kursrelevanz der Maßnahme treffen. Demzufolge ist das Gesamtgeschehen mit dem Erhöhungsbeschluss des Vorstands ad-hoc-pflichtig, auch wenn der Aufsichtsrat seine Zustimmung noch nicht erteilt hat. Die Veröffentlichung kann bis zur Genehmigung durch den Aufsichtsrat in der Regel nicht aufgeschoben werden.

KRAMMER JAHN-Praxishinweis: Hier gilt nichts anderes als bei jeder anderen genehmigungspflichtigen Entscheidung, weshalb eine Selbstbefreiung nur in Betracht kommt, wenn nicht mit der Absegnung durch den Aufsichtsrat zu rechnen ist. Diese sollte bei solider Compliance durch Absprachen im Vorfeld jedoch gesichert sein. Darüber hinaus müsste  die Zustimmung noch am selben Tag eingeholt werden, wenn man für diesen Zeitraum von der Selbstbefreiung Gebrauch machen wollte.

 

Genehmigung des Aufsichtsrats

Die Zustimmung des Aufsichtsrats zur Verwendung des genehmigten Kapitals stellt eine Aktualisierung der Insiderinformation dar, sodass der Fortschritt des Gesamtvorgangs ad-hoc bekanntzugeben ist.

Die Zustimmung des Aufsichtsrats macht die Kapitalerhöhung auf Basis der Ermächtigung höchst wahrscheinlich. Da das Marktumfeld im Voraus schon berücksichtigt wurde, steht der Neuemission praktisch nichts mehr im Wege, sodass der verständige Anleger die Verwendung des genehmigten Kapitals als eintretende Tatsache in seiner Anlageentscheidung berücksichtigen wird.

 

Zeichnung der Kapitalerhöhung

Die Zeichnung der neuen Aktien stellt faktisch den Abschluss der Kapitalerhöhung aus dem genehmigten Kapital dar, sodass eine Ad-hoc-Meldung über deren Verlauf abzugeben ist.

Die Ausgabe der Aktien findet bei genehmigtem Kapital zumeist in Form des Accelerated Bookbuilding statt. Dazu werden die Aktien innerhalb einer sehr kurzen Frist und zu einer vorgegebenen Preisspanne mehreren Investoren angeboten. Daraus ergibt sich der Ausgabebetrag pro Aktie und der Vorstand legt durch Beschluss fest, wie viele Aktien emittiert werden. Dieser Beschluss ist ebenfalls vom Aufsichtsrat zu genehmigen. Dieses beschleunigte Verfahren trägt der gewünschten Flexibilität des genehmigten Kapitals Rechnung.

KRAMMER JAHN-Praxishinweis: Aus diesem Grund kann hier der Vorstandsbeschluss und dessen Genehmigung durch den Aufsichtsrat auch nicht gespalten betrachtet werden, zumal diese ohnehin in unmittelbarer Folge abgegeben werden. Der gefundene Preis und der Umfang der Kapitalerhöhung sind sodann dem Markt durch Publikation mitzuteilen, da der verständige Anleger diese für seine weiteren Anlageentscheidungen benötigt.

 

Eintragung der Kapitalerhöhung

Die   Eintragung der Kapitalerhöhung ins Handelsregister ist mangels neuer   Kursrelevanz keine Insiderinformation mehr.

Zwar ist die Eintragung der konstitutive Schritt zur rechtlichen Wirksamkeit der Kapitalerhöhung und somit zum Vorliegen der Tatsache. Allerdings war die Durchführung der Kapitalerhöhung mit der Zeichnung der Aktien schon derart sicher, dass der Eintragung selbst keine Kursrelevanz mehr zukommt, da der Vorgang bereits in den Kurs der Aktie eingepreist ist.