MARKTMISSBRAUCHSVERORDNUNG (MMVO / MAR)

 


Insiderinformationen

1. Zweck der Insiderinformation

Der Begriff der Insiderinformation nach Art. 7 MMVO ist der zentrale Begriff des Marktmissbrauchsrechts. So knüpfen sämtliche Ge- und Verbote an den Begriff "Insiderinformation" an, wie beispielsweise das Verbot von Insidergeschäften oder die Pflicht zur Ad-hoc-Publizität. Im Lichte des Erwägungsgrunds Nr. 23 der MMVO wird der Sinn der Regelungen zur Insiderinformation klargestellt: Es soll aus rechtlicher Hinsicht ein ungerechtfertigter Informationsvorteil bzw. aus ökonomischer Hinsicht die Arbitragemöglichkeiten wegen nicht öffentlich bekannter Umstände unterbunden werden. Der gleichberechtigte Informationszugang ist das vorrangige Ziel des Insiderrechts.

2. Definition des Begriffs

Legal definiert sind Insiderinformationen in Art. 7 Abs. 1 lit. a) MMVO als nicht öffentlich bekannte präzise Informationen, die direkt oder indirekt einen oder mehrere Emittenten oder ein oder mehrere Finanzinstrumente betreffen und die, wenn sie öffentlich bekannt würden, geeignet wären, den Kurs dieser Finanzinstrumente oder den Kurs damit verbundener derivativer Finanzinstrumente erheblich zu beeinflussen.

Eine Insiderinformation liegt demnach vor, wenn die Kenntnis eines geheimen Umstandes dem Besitzer einen Wissensvorsprung gegenüber den restlichen Marktteilnehmern verschafft. Die intern bekanntgewordenen Tatsachen konnten somit noch keinen Einfluss auf den Kurs des Wertpapiers am Kapitalmarkt nehmen, sodass der Insider sich zu Lasten der übrigen Anlegerschaft bereichern könnte, wenn er die nicht eingepreiste Information zur Wertschöpfung gebraucht. Um Insiderinformationen kann es sich demzufolge nur dann handeln, wenn der Gegenstand der Information konkret genug ist, um den Wert der Aktie zu beeinflussen und eine Kursveränderung aufgrund dieses Umstandes auch zu erwarten ist. Daraus ergibt sich, dass die Tatsache noch nicht eingetreten sein muss. Es genügt bereits, wenn ihr Bevorstehen in der Lage ist, Einfluss auf den Aktienkurs zu nehmen.

Daneben beinhaltet die MMVO in Art. 7 Abs. 1 lit. b)-d) noch spezielle Regelungen zu besonderen Insiderinformationen. Erfasst werden in diesen Regelungen die Insiderinformationen im Rahmen von Warenderivaten (lit. b), von Emissionszertifikate oder darauf beruhender Auktionsobjekte (lit. c) und zu Personen, die mit der Ausführung von Aufträgen in Bezug auf Finanzinstrumente beauftragt sind (lit. d).

Insbesondere bei zeitlich gestreckten Vorgängen ist darauf zu achten, ab wann Insiderinformationen vorliegen. Bei mehrstufigen Entscheidungsprozessen  ist nicht nur das Gesamtgeschehen zu beurteilen, sondern auch die einzelnen Zwischenschritte. Diese können gemäß Art. 7 Abs. 3 MMVO separate Insiderinformationen darstellen. Daher muss auf mehreren Ebenen geprüft werden, ob und wann eine Insiderinformation entsteht.

 

3. Notwendiger Drittbezug der Insiderinformation? 

Mit Art. 9 Abs. 5 MMVO hat der Verordnungsgeber die bisherige Rechtsprechung des BGH, über eigene innere Tatsachen wie Absichten und Pläne könne man nicht informieren, umgekehrt. Nunmehr stellen auch "selbst geschaffene innere Tatsachen" sehr wohl Insiderinformationen dar. Dies umfasst auch die eigenen Handelsabsichten und -strategien. 
Ein Drittbezug zu einer anderen Person ist deshalb für die Frage nach der Existenz einer Insiderinformation im Sinne der MMVO nicht erforderlich.

 

4. Besondere Fallstricke für die Qualifikation einer Insiderinformation
Informationen können "hart" sein, indem sowohl die Information selbst als auch deren Umstände als sicher bewertet werden. Wesentlich häufiger sind jedoch "weiche Informationen", die im jeden Falle ein Element der Unsicherheit aufweisen - sei es über die Information selbst oder über deren zugrundeliegenden Umstände. 

Im Folgenden werden - nicht abschließend und insbesondere unter dem Vorbehalt der Prüfungspunkte "präzise" und "kursrelevant" - die besonders praxisrelevanten Fallgruppen erörtert, ob sie jeweils insiderrechtlich bedeutsam sein können: 

1) Prognosen

Problematisch ist hierbei, an welchen Bestandteil der Information anzuknüpfen ist. Denn eine Prognose besteht aus mehreren Bausteinen: Zunächst kann der Gegenstand der Prognose (z.B. ein prognostiziertes Ereignis) eine Insiderinformation sein. Daneben könnte aber auch die Prognosegrundlage des Gerüchts (z.B. vergangene und sichere Umstände) oder schon die bloße Aufstellung der Prognose als insiderrechtlicher Umstand relevant sein. 

Im Ergebnis wird die Prognose selbst als insiderrechtlicher Umstand bewertet. Zum Beispiel kann eine (intern) erstellte Prognose eines Analysten vom Vorstand für dessen Entscheidungsfindung zu Rate gezogen und somit die künftige Änderungen im Unternehmen erahnt werden. Es besteht somit Insiderwissen. 

2) Gerüchte

Systematisch gleich zu behandeln sind Gerüchte. Sie weisen dieselben zu differenzierenden Bausteine wie Prognosen auf. In den meisten Fällen bezieht sich das Gerücht sowohl auf gegenwärtige als auch auf zukünftige Umstände. Festzuhalten ist auch hier, dass Gerüchte als weiche Informationen grundsätzlich als Insiderinformation zu handhaben sind. Dies steht unter dem Vorbehalt der Verlässlichkeit des Gerüchts: Das Gerücht muss aus präzisen und kursrelevanten Informationen bestehen.

3) Mosaikfälle 

Eine Insiderinformation nach Art. 7 Abs. 1 lit. a) MMVO liegt auch bei sog. Mosaikfällen vor. Damit ist die Konstellation gemeint, dass der Insider mehrere nicht öffentlich bekannte Informationen kennt, die zwar für sich einzeln gesehen nicht die Anforderungen an eine Insiderinformation erfüllen. Jedoch ist das Geflecht aus den einzelnen Informationen als eine Insiderinformation zu sehen. Als Beispiel lässt sich anführen: Ein Analyst befragt die Filialleiter einer Modeboutique einer großen Modekette nach ihren nicht öffentlich bekannten Absatzzahlen. Dabei ist die einzelne Absatzzahl einer Boutique für den Gesamterfolg des Unternehmens wenig aussagekräftig. Kommen jedoch mehrere Absatzzahlen auch noch anderer Modeboutiquen beim Analysten durch weitere Befragungen zusammen, kann eine Aussage über die finanzielle Lage der Modekette getroffen werden. Eine Insiderinformation liegt somit erst in der Gesamtschau mehrerer Informationen vor. 

4) Unwahre Tatsachen

Sehr umstritten ist die Einordnung der unwahren Tatsachen. Die herrschende Meinung bejaht in diesem Fall Insiderinformation, andere wiederum lehnen dies ab. Keine Insiderinformationen sind jedenfalls wegen fehlender Kursrelevanz erwiesen falsche Tatsachen. 

Zu beachten ist, dass eine unwahre Tatsache eine Insiderinformation ist, wenn sie sich im Nachhinein als falsch entpuppt. Dies ist auch systemkonform, denn anderweitige weiche, d.h. unsichere Informationen fallen grundsätzlich auch in den Anwendungsbereich der Insiderinformation nach Art. 7 Abs. 1 lit. a) MMVO.

5) Meinungen und Rechtsauffassungen

Sie können selbst Insiderinformationen sein, wenn die Bewertung auf öffentlichen Informationen fußt. Zugleich kann aber auch die Grundlage der Meinung oder Rechtsauffassung, d.h. die Tatsachen oder anderweitigen Informationen, eine Insiderinformation sein. 


5. "Verständiger Anleger" als zentraler Beurteilungsmaßstab

Nach Art. 7 Abs. 4 MMVO ist der verständige Anleger das Leitbild für die Beurteilung, ob eine Insiderinformation vorliegt. Er erlangt insbesondere in der Frage Bedeutung, ob die betreffende Information kursrelevant ist. Für den verständigen Anleger gelten die folgenden Prämissen: 

1) Er hat Kenntnis über alle öffentlich bekannten Informationen (vgl. Erwägungsgrund Nr. 14 der MMVO). 

2) Er handelt rational (vgl. Erwägungsgrund 15 der MMVO).


 

Merkmale einer Insiderinformation

Zwischenschritte bei gestreckten Geschehensabläufen